7 Gründe, wieso eine Künstlerausbildung hart ist

Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Sind wir mal ehrlich, Menschen auf der Bühne zu sehen, ist toll. Meiner Meinung nach gibt es kaum etwas Schöneres als Menschen dabei zuzusehen, wie sie ihre Leidenschaft und ihr Herzblut in etwas Kreatives verwandeln und andere Menschen damit verzaubern.

Doch so leicht wie es aussieht, ist es nicht! Auch wenn einige Begabungen sicherlich “genetisch bedingt” sind, so ist aber keiner dieser Menschen mit dem “fertigen”, wundervoll anzuschauenden Können auf die Welt gekommen. Der ein oder andere von euch mag jetzt die Stirn runzeln und sich denken: “Ja, das weiß doch jeder!”
Aber ich glaube, wie hart eine künstlerische Ausbildung ist bzw. sein kann, ist keinem wirklich bewusst, wenn er selber nicht mal mittendrin gesteckt hat. 

Hier sind 7 harte Fakten, mit denen man lernen muss, umzugehen.


1. Freizeit ist eine fremd gewordene Spezie

Freizeit ist ein Wort, welches man in dieser Branche wirklich mit Vorsicht wählt und wenn es einem doch einmal über die eigenen Lippen “rollt”, so hat man es vorher bereits – wie kostbare, zartschmelzende Schokolade – auf der eigenen Zunge zergehen lassen.  
Ich selber stehe noch gar nicht mit beiden Beinen im Business. Doch allein in meiner Ausbildung merke ich immer wieder, wie wenig Freizeit wir alle haben oder wie selten ich meine Frei-Zeit wirklich als freie Zeit betiteln und genießen kann.
Ich bin mir sehr sicher, dass meine Ausbildung nicht die einzige ist, bei der Freizeitmangel ein ganz normaler Teil des Alltags ist; jedoch bin ich immer wieder überrascht, wie schnell die Zeit verfliegt…. Kaum bin ich morgens aufgewacht, falle ich – wie nach einer extremst kurzen Zeitreise – abends auch schon wieder todmüde ins Bett.
Die körperlichen Anstrengungen tagtäglich stellen nicht nur eine physische, sondern ebenso eine emotional-psychische Belastung dar, sodass an Abschalten an den meisten Tagen überhaupt nicht zu denken ist.  
Doch für das “Outen” und Herauslassen eigener Emotionen, wie Traurigkeit oder Zweifel, ist und bleibt im Schulalltag meist kein Platz. Dinge, die im Privatleben oder in der Freizeit passieren, finden bei einer Ausbildung, in der es um Durchlässigkeit und Flexibilität geht, einfach kein Gehör. Stattdessen wird einem dazu geraten, diese zum eigenen künstlerischen Vorteil zielorientiert zu nutzen… – doch ist dieser Ratschlag schwieriger umzusetzen als er sich im ersten Moment anhören mag.

2. Brotlose Kunst?! Wohl wahr!

Damit meine ich nicht, dass Menschen, die Künstler werden, keinen Job oder kein ausreichendes Einkommen  haben oder gar an einer gescheiterten Karriere zerbrechen.
Nein, das meine ich nicht und dies trifft so auch nicht zu. 
Aber für die Leistungen, die man auf der Bühne und hinter den Kulissen erbringt, für die vielen Proben und die Höchstleistung, die Tag für Tag von einem abverlangt wird, ist es insgesamt ein sehr “sparsam” bezahlter Beruf. 

Ich habe jedoch noch nie gesehen oder gehört, dass Leute der “freien Kunst” streiken.
Durch die Unbeständigkeit des Business ist es für die meisten fast lachhaft, sich vorzustellen, Schauspieler auf der Straße zu sehen, die für eine faire Bezahlung streiken. Schließlich ,,haben sie es sich ja selber ausgesucht’’… und natürlich ist dies wegen der Unbeständigkeit einzelner Aufträge oder wegen der zeitbefristeten Arbeitsverträge kaum realisierbar.
Es ist nun mal ein sehr sehr eigen- und starrsinniges, aber auch eigenständiges Business, in dem schlichtweg andere Regeln gelten.
Wer im Laufe seiner vermeintlichen künstlerischen Karriere nicht gerade zum Superstar wird oder für eine gewisse Zeit der “absolute Renner” ist, der muss damit rechnen, dass er im Verlaufe seines “Künstlerdaseins” immer mehr leisten muss als er in Form von Anerkennung oder Geld zurückbekommen wird. Er muss stets auf Zack, flexibel und gewillt sein, sich schnell umzuorientieren.

3. Dein Schweinehund, dein schlimmster Feind!

“Kommst du heute nicht – kommst du morgen!”, so ist das Motto vieler Mitmenschen und auch mich begleitet mein “alter Freund, der Schweinehund” gerne mal. Normal und menschlich, wie ich finde!!!
Jedoch ist diese Einstellung in meiner Ausbildung sehr unangebracht und es fällt schnell auf, wenn man sich doch mal hat “gehen lassen” oder zu wenig geübt bzw. geprobt hat. An der Stage kannst du Prüfungen nicht einfach auf- oder verschieben oder Prüfungstexte nachreichen.
Bis zu einem bestimmten, im Vorfeld festgelegten Zeitpunkt musst du deine Aufgaben ohne “Wenn und Aber” einfach erledigt haben. Schließlich kannst du später bei der Bühnenpremiere deine Choreografie auch nicht nur halb können oder bei einem Song bestimmte Passagen nicht beherrschen. Wenn du etwas nicht kannst, bist du alleine dafür verantwortlich und du musst dich selber zur Rechenschaft ziehen.
Du siehst: Bei uns kannst du nicht einfach eine Prüfungen verschieben, weil du nicht genug geübt hast oder dir die Zeit oder der notwendige Ernst fehlte… – entweder du kannst es oder du lässt es! Unsere Dozenten pflegen in diesem Zusammenhang gerne zu sagen: “You have to know your shit!” Es ist nicht immer leicht, dies zu akzeptieren, aber sie haben recht!

4. Kritik üben und einstecken

Wer Künstler wird, muss zwar auch mal Kritik äußern bzw. austeilen können, aber in erster Linie muss er lernen, einstecken zu können. Ich finde es immer wichtig, dass man als Mensch kritikfähig und (selbst-)kritisch ist, um die Welt realistisch betrachten und seine eigenen Schlüsse daraus ziehen zu können. Nur so gelingt es einem, Veränderungen an sich selbst sowie in seiner Umgebung vorzunehmen und zu erreichen.
Jedoch hat jeder von uns schon erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man sich (sehr) ungerecht behandelt fühlt. Während der vielen unterschiedlichen Stage-Schulstunden stehst du Tag für Tag unter kritischer Dauerbeobachtung und musst unter diesen “Umständen” lernen, mit Kritik, die dir unfair erscheint, umzugehen. Wer in solchen Situationen keinen “harten Panzer” hat, ist leicht verletzbar und kann daran zerbrechen.

Als weitaus schwieriger empfinde ich es, Kritik zu äußern als selber anzunehmen. Im Rahmen der Ausbildung kommt es regelmäßig vor, dass du deine Mitschüler objektiv und zugleich professionell in den Blick nehmen und bewerten sollst. Egal wie konstruktiv die Kritik ausfällt, so ist es in meinen Augen immer eine Gratwanderung der richtigen Wortwahl, die einen Mitschüler weiterbringen, aber nicht verletzen soll.

5. Einen geregelten Alltag sucht man vergeblich!

Wer gerne geregelt durch die Welt geht, seine Zugtickets zu seiner Familie mindestens sechs Monate im Voraus bucht, die Ansicht vertritt, pünktlich um 16.00 Uhr Feierabend zu machen, um den Abend “gechillt” ausklingen zu lassen, oder wer die Freitage als verdiente, wichtige freie Zeit versteht, der sollte definitiv seinen Wunsch, einen künstlerischen Beruf zu ergreifen oder gar Künstler “durch und durch” zu werden, schnellstmöglich überdenken. So viel Spaß mir die Arbeit während meiner Ausbildung auch bereitet, so sehr merke ich jetzt schon, wie viele Abstriche ich hinsichtlich des als typisch Deutsch bekannten, “geregelten Alltags” machen muss.
Ich kann meiner Familie nie wirklich sagen, wann ich sie besuche. Auch die Besuche bei meinen Freunden außerhalb von Hamburg müssen immer hinten anstehen, und somit kann ich meine Zugtickets immer erst “kurz vor knapp” buchen – zum Teil ein teures Unterfangen! Wir haben natürlich normale Ferien und auch einen Ferienplan, aber wer in Projekten “mitmischen” möchte oder sich auf Auftritte bewirbt, der wird diese Zeit zwar als schulfreie Zeit empfinden, aber nicht als arbeitsfreie Zeit.
Meist kann ich auch nicht genau sagen, wann ich abends nach Hause komme, denn plötzlich stehen doch noch dringende Proben oder Nachholtermine an.
Für meinen normalen Alltag klicke hier.

6. Im Singen, Schauspielern und Tanzen gleichzeitig Profi zu werden, ist schwer

Wenn du nicht von klein auf getanzt, gesungen oder irgendwann einmal geschauspielert hast, ist es verdammt schwer, dies alles innerhalb der dreijährigen Ausbildung zu erlernen. Drei Jahre oder 1.095 Tage oder 26.280 Stunden erscheinen einem zunächst mengenmäßig viel, sind aber eine äußerst kurze Zeitspanne, um Künsler mit “professionellem Background” auf allen drei Gebieten zu werden.
Natürlich ist man nach keiner Ausbildung wirklicher Profi, sondern immer noch Anfänger. Erst im Laufe der Jahre erlangt man durch vielfältige Berufserfahrung, unterschiedliche Jobs u.ä. eher den Status ,,richtiger Profi’’. In künstlerischen Berufen muss man sich jedoch darüber im Klaren sein und lernen zu akzeptieren, dass man NIE den Status “Profi” erreichen wird. Solange man den Beruf “Künstler” ausübt, wird man NIEMALS von sich selber behaupten können, man habe ausgelernt. Denn durch die vielen unterschiedlichen Jobs, die man als Musicaldarsteller annehmen kann bzw. muss, ist die Bandbreite der Aufgaben und Rollen, die man (gleichzeitig) tanzen, singen, darstellen oder schauspielern soll, so groß, dass man plötzlich wieder in ein Gebiet “hineinrutscht”, in dem man vorher keinerlei Erfahrung hatte – egal, ob es sich um den darzustellenden Charakter oder um eine ganz andere Art der Tanzdarstellung handelt. Für einen selbst heißt es einfach nur: “Back to the Basics” und in Kleinstarbeit wieder von vorne beginnen. Als Künstler steht man in solchen Situationen und Momenten gefühlt immer und immer wieder am Anfang. Es ist zwar auf gar keinen Fall unmöglich sein Ziel zu erreichen, aber es ist sehr nervenaufreibend. Oftmals stößt man an seine Grenzen oder es “stellen” sich Hindernisse in den Weg, mit denen man wirklich nicht rechnen konnte.

7. Selbstbewusstsein = ein “Must have”!

Selbstbewusstsein heißt nicht einfach “selbstbewusst zu sein”. Vielmehr bedeutet es, sich im Verlauf der Ausbildung als “angehender Künstler” darüber bewusst zu werden und am Ende der drei Jahre auch möglichst zu sein, was man als Musicaldarsteller schon beherrscht und woran man noch hart arbeiten muss. Demzufolge ist es einerseits ein MUSS, sich selber und sein Können realistisch einschätzen und  beurteilen zu können, andererseits muss ich auch in Situationen, in denen ich unsicher oder aufgeregt bin, die Traute HABEN, mich zu beweisen und zu meiner Person als Künstler zu stehen.
Höre ich nur auf die Meinung anderer oder setze als sicher gemeinten “Schachzug” auf das, was andere für mich als gut und zielführend empfinden, denke und handele ich als Künstler fremdbestimmt.
Um auf seinem Weg als Künstler glücklich zu werden, gilt es, bestimmte Prioritäten zu beachten. Zum einen solltest du dich (selbst-)bewusst für dein selbstbestimmtes Handeln entscheiden und deine “künstlerische Freiheit” als ein hohes Gut und somit als etwas Positives betrachten; zum anderen solltest du dir immer darüber im Klaren sein, welche Meinung und von welchem Menschen sie dir so wichtig ist, dass du sie bis tief in dein Herz lässt und welche du “schlicht und ergreifend” abblockst.

 


Mit anderen Worten:
Das Harte an der Künstlerausbildung ist, dass du bei DIR, bei deiner Person, bei deiner Persönlichkeit anfangen musst. Deine Ausbildung wird quasi zu (d)einem “Dauerauftrag”, der dich dauerhaft dazu zwingt, dich immer wieder neu zu positionieren.
Allein du SELBST bist während deiner einzelnen Ausbildungsstationen dafür verantwortlich, zu lernen und dir am Ende möglichst BEWUSST darüber zu SEIN, was dir im Leben wichtig ist und vor allem, wie du Glück für dich definierst, damit du auf dem Weg zum Musicaldarsteller bzw. zum Künstler glücklich wirst. Denn während deiner Ausbildung wirst du stets aufs Neue mit Selbstzweifeln zu kämpfen haben.Es werden dir (deine) Grenzen, die dir bis dahin nie bewusst waren, aufgezeigt und – wie aus heiterem Himmel – stellen sich dir scheinbar schier unüberwindbare Hindernisse in den Weg. Mal sind sie finanzieller, mal emotionaler, mal physischer, mal zwischenmenschlicher Art oder oder…
Wer den Weg einer Musical- bzw. Künstlerausbildung wirklich gehen will, muss ganz viel Leidenschaft und Herzblut in seinen Rucksack packen. Die Neugier auf  das Unbekannte ist etwas, was einen immer wieder von vorne antreibt und einem die Kraft verleiht, offen für Neues und auch Ungewisses zu sein. Denn gerade dies öffnet dir den Blick für neue Perspektiven, sodass selbst die dunkelste und selbstkritischste Phase etwas Gutes und Positives für dich bereithält.

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