Hakuna Matata- Alles in bester Ordnung
„Der ganz normale Alltagswahnsinn“
Allmorgendlich klingelt um 5.45 Uhr der Wecker.
Kein Problem: Erst einmal einen Kaffee kochen und genießen, duschen, Sachen packen und halb in Gedanken versunken, begebe ich mich in den Sog des Hamburger Berufsverkehrs und fahre mit der S-Bahn zur Schule.
Soweit ein ganz normaler Start in den Tag – denn bekanntlich ist „morgens um sieben die Welt noch in Ordnung“.
Doch dies ändert sich schnell!
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An der Stage School angekommen, herrscht ein herrlich-buntes und zugleich hektisches Treiben in den Umkleiden und auf den Fluren. Schnell verteilen sich alle auf ihre Gruppen und verschwinden in Windeseile in ihre Räume, denn Pünktlichkeit ist eine der obersten Devisen an der Stage.
Inzwischen ist es acht Uhr morgens und eine fröhliche und erwartungsvolle Stimmung erfüllt den Raum.
In kleinen Gruppen, die nach Leistungen von den Dozenten in der ,,Einteilungswoche” oder auch ersten Woche der Schule eingeteilt wurden, arbeiten wir eng zusammen. Gemeinsam wird gelacht und geweint… – selbst neuen Herausforderungen stellen wir uns alle gemeinsam.
„Aufgewacht und mitgemacht“ – lautet das Motto des Tages.
Durchgeschnauft, Schuhe aus und ran an die Arbeit…
Aufwärmen, Arbeiten und Ausklang… – so sind die meisten Stunden an der Stage aufgebaut.
Trotz des scheinbar gleichen Ablaufes kommt in keiner einzigen Stunde, Minute oder gar Sekunde Langeweile auf. Ganz im Gegenteil: durch die primär praxisorientierte Arbeit mit den unterschiedlichsten Leuten, in den verschiedensten Situationen stehen Überraschungen auf der „Tagesordnung“. Man muss stets wachsam, offen und flexibel sein, mal eben umswitchen, Perspektiven oder gar Rollen wechseln können.
Was dies in der Praxis heißt!
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Erst wird sich eingesungen oder auf dem Boden die Tiefenatmung trainiert, eingetanzt und gestretcht. Im nächsten Augenblick kann es schon sein, dass ,,mal eben’’ von dir als Spielpartner, Gesangspartner oder Tanzpartner „Gebrauch“ gemacht wird. Selbst wenn du in einer Stunde den eher passiven Part zugeteilt bekommst und im ,,Zuschauerraum’’ sitzend den anderen beim Singen zuhörst oder beim Schauspielern zuschaust, so kannst du doch enorm viel Produktives aus den Kritiken, Kommentaren und Verbesserungsvorschlägen der Lehrer für dich selbst ziehen.
In keiner anderen Schule als in der Stage habe ich bisher erfahren dürfen, dass jeder Raum, in dem wir uns befinden, als sichere “Experimentierzone“ gilt. Du erhältst hier die bedingungslose Freiheit und zugleich Chance, deinen Körper neu zu entdecken, zu weinen, zu lachen, zu schreien und einfach nur „Du-Selbst“ zu sein. Es gibt kaum eine Grenze, die es nicht zu überschreiten gilt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir „neuen“ Stage-Schüler und -Schülerinnen zusammen schon einige Hürden überwunden und dabei an Reife gewonnen haben. Wurde anfänglich häufig gelacht, wenn einer von uns vorne etwas Unangenehmes oder vermeintlich Peinliches erarbeiten und vortragen musste. Doch sehr schnell wird einem bewusst, dass alle im „selben Boot sitzen“ – jeder muss an seine persönliche Schamgrenze gehen, um sich persönlich weiter entwickeln zu können. Für mich persönlich ist es jeden Tag aufs Neue faszinierend zu sehen, wie sehr man sich selber von Tag zu Tag, „Stückchen für Stückchen“ verbessert, aber auch verändert und wie meine Mitschüler- und Mitschülerinnen selbstbewusster und stärker werden – jeden Tag ein Stückchen mehr.
Es heißt:
Sei eine Bereicherung für deine Mitmenschen!
Wenn du aufmerksam mitmachst und jeden Tag versuchst, an deine Grenzen zu gehen, dann wirst du etwas erreichen!
Und genau das versuche ich jeden Tag:
Eine Bereicherung zu sein, egal ob beim Jazz, beim Schauspiel oder bei der Liedinterpretation.
Es ist nicht nur leicht und schön!
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Doch ist ein ganz „normaler Alltag“ an der Stage natürlich nicht nur mit positiven Eindrücken und Entwicklungsfortschritten verbunden. Bereits nach so kurzer Zeit habe ich immer wieder bewusst erfahren, dass eine künstlerische Ausbildung sehr körperlich und seelisch belastend ist.
Jeden Tag auf‘s Neue muss man Kritik einstecken, die meist nicht einmal von den Dozenten kommt, sondern aus dem eigenen Wunsch erwächst, jeden Tag besser als den Tag zuvor werden zu wollen. An manchen Tagen verzweifelt man an jedem Ton, der aus dem Mund kommt; muss mit persönlichen Rückschlägen klarkommen, weil der ganze Körper weh tut und das Tanzen schwer fällt. In solchen Momenten erscheint einem das Sprichwort: „Ein Schritt vor und zwei zurück“, äußerst passend.
Wenn es einer dieser Tage ist, an denen nichts so klappt, wie man es sich vorstellt, ist es enorm hart, wach und offen für neue Anregungen, Eindrücke und Veränderungen zu sein.
Am schwersten fällt es mir persönlich, mich „seelisch“ zu öffnen und dadurch für andere angreifbar zu machen. Als sehr fröhliche Persönlichkeit empfinde ich es für mich als sehr schwer, meine traurige Seite zuzulassen, diese anderen Menschen zu zeigen und mich selber im Unterricht mit ihr konfrontiert zu sehen.
Jeder Mensch trägt etwas in sich, dass er ungerne offenbart oder gar an sich heranlässt.
Doch genau das ist die Herausforderung:
Akzeptiere dich so wie DU bist und nicht nur deine schönen, sonnigen Seiten.
Denn, wenn eine Sache klar ist, dann die, dass auf der Bühne nicht nur alles fröhlich-glücklich und sonnig-schön ist.
Jeden Morgen aufzustehen und tagtäglich Leistungen dieser Art zu erbringen, ist und bleibt eine Gratwanderung für sich. Doch trotz der Schattenseiten ist es ein Privileg für mich, jeden Morgen aufstehen zu dürfen und meinen Traum zu leben, selbst wenn dieser alles von einem abverlangt…
Daher: Hakuna Matata – alles in bester Ordnung. Denn auch ein Schritt zurück ist oft ein Schritt zum Ziel.
Küsschen,
Julia